Führung in Dilemmata: Zwischen Ansprüchen, Systemlogik und Entscheidungsmut

In vielen Organisationen treffen wir auf Zielkonflikte, die nicht einfach aufzulösen sind: Standardisierung versus Individualisierung. Sicherheit versus Tempo. Kundenorientierung versus Prozesslogik. Und immer wieder: Effizienz versus Qualität.
Diese Widersprüche sind kein Zufall. Sie sind kein „Fehler im System“. Sie sind das System. Denn Organisationen sind Orte, an denen unterschiedliche Logiken aufeinandertreffen – strukturell, kulturell, prozessual. Gerade in IT-nahen Bereichen, in staatsnahen Organisationen oder im Versicherungsumfeld wird das besonders deutlich: Dort gibt es einen hohen Druck zur Standardisierung, zugleich aber auch eine Vielzahl von Abhängigkeiten, begrenzte Ressourcen und wachsende Anforderungen an Agilität und Zusammenarbeit. Die Folge: Zielkonflikte sind nicht Ausnahme, sondern Normalfall.
Die Frage ist nicht, wie man sie vermeidet. Sondern: Wie man mit ihnen wirksam umgeht.

Führung in solchen Spannungsfeldern bedeutet nicht, zu vermitteln oder neutrale Balanceakte zu moderieren. Es bedeutet, zu erkennen, wo man selbst Gestaltungsspielraum hat – und wo nicht. Es bedeutet, bewusste Entscheidungen zu treffen:
– Welche Spannungsfelder benenne ich klar, anstatt sie zu kaschieren? – Wo muss ich Widersprüche nicht auflösen, sondern tragfähige Rahmen setzen? – Wo darf ich Ambivalenz zulassen – und wo muss ich mutig Position beziehen?
Diese Unterscheidungen sind nicht trivial. Denn Spannungsfelder zeigen sich oft diffus: in widersprüchlichen Erwartungen, in informellen Entscheidungen, in Zielbildern, die nicht zu den Anreizsystemen passen. Wer hier wirksam führen will, braucht Orientierung.
Dafür lohnt es sich, Spannungsfelder nicht als Störung zu begreifen, sondern als zentralen Gegenstand von Steuerung und Gestaltung. Und zwar nicht nur im Change, sondern auch in Strategieprozessen, in Strukturdiskussionen, im Projektportfolio. Denn viele Probleme lassen sich nicht inhaltlich lösen – wohl aber so rahmen, dass Zusammenarbeit wieder handlungsfähig wird.
Führung heißt dann: Differenzen sichtbar machen, Verantwortlichkeiten klären, Entscheidungsmodi gestalten, Aushandlungsräume bewusst strukturieren. All das braucht Haltung, Systemblick und Entscheidungsstärke – nicht allein Methoden.
Wir bei Intralab erleben das immer wieder, wenn wir Führungskräfte in Organisationen begleiten, in denen die Struktur zu einer Art Dilemma-Maschine geworden ist. Die gute Nachricht: Man kann lernen, damit umzugehen. Nicht mit Patentlösungen, sondern mit Klarheit. Und mit einem guten Gespür für das, was sich nicht auflösen lässt – aber gestalten lässt.